aus Ingrid Lipowksky Drittes Buch der Geschichte Jakobus des Jüngeren S. 65ff Neue Erde Verlag Saarbrücken 2007.

Ich blickte zu Isaak und sah, dass er mit  seiner Arbeit  fast  so weit war wie ich selbst. Kein einziges Mal hatte er mich um Hilfe oder Rat gebeten. Zwar war seine Arbeitsweise ein wenig anders als meine: seine Handhaltung, seine Art, Stiche zu setzen, die Größe der Stiche. Doch – war sie deshalb falsch? Sie war anders – und auf ihre Art ebenso richtig. Mein innerer Engel schenkte mir eine Erkenntnis, die zu einem weiteren Leitsatz in meinem Leben wurde:

Ein gemeinsames Werk kann nur gelingen, wenn es auf der Grundlage der Liebe und gegenseitigen Achtung aufbaut – und die Verschiedenartigkeit der Einzelnen als Stärke sieht.‘

Ich hatte zu arbeiten aufgehört, saß mit geschlossenen  Augen da und lauschte. Die inneren Gedanken setzten sich fort. Sobald sich einer als Meister aufspielt und den anderen vorschreibt, wie sie zu arbeiten haben, ist ein gemeinsames Werk zum Scheitern verurteilt. Dann arbeiten viele für den einen, und es ist am Schluss sein Werk, denn es enthält nicht die Ideen und Talente der anderen.‘

Lange dachte ich über die Erklärung nach. In der Werkstatt meines Vaters war ich während der Lehrzeit öfters der Meinung, der eine oder andere mir von Vater gelehrte Griff könne anders und besser ausgeführt werden. Ich versuchte anfangs auch, dies meinem  Vater zu erklären. Doch er ließ keine andere Arbeitsweise zu. Sein Wort war klar: ,Ich habe es so von meinem Vater gelernt, und dieser von seinem. Es hat sich seit Generationen bewährt und es steht dir nicht zu, es zu verändern.‘ – So gab ich irgendwann auf und tat nun die Arbeit meines Vaters und der Väter vor ihm. Ich konnte nicht sagen, dass sie falsch war, nur – es war nicht meine Arbeit.

Hier angekommen öffnete ich meine Augen und bemerkte, dass auch Isaak sein Werk unterbrochen hatte und mich forschend betrachtete. Es war mir wichtig, ihm von meinen Gedanken zu berichten. Nachdenklich hörte er mir zu. Als ich geendet hatte, antwortete er: ,,Ich war nie so. Wenn der Altknecht mir eine Arbeit anschaffte, tat ich sie immer so, wie ich es für richtig hielt. Anfangs versuchte er, mir seine Meinung aufzuzwingen, doch er gab es irgendwann auf. Er sagte: „Du bist ein Querdenker, aber deine Arbeit gelingt. Und nur das zählt für mich und den Bauern.‘

Wieder hatte ich etwas zum Nachdenken. Jesus kam mir in den Sinn. Auch er war ein, Querdenker‘ und tat das, was er für richtig hielt. Er sprach über seine Wahrheit, stand zu ihr, jedoch hatte ich nie erlebt, dass er sie anderen mit Gewalt aufgedrängt hätte. Ich erinnerte mich an die Erzählung des Maniech von der Begegnung des GOTT liebenden Jesus mit dem GOTT fürchtenden Prediger. Wie hatte Jesus damals zu diesem gesagt? ,Ich widerspreche dir gar nicht. Lebe du nach den alten Gesetzen unserer irdischen Väter und lass mich nach dem neuen Gesetz leben, das mir der himmlische Vater gegeben hat.‘

Ja, so handelte Jesus: Er stand aufrecht zu seiner eigenen Wahrheit und ließ jedem, der sich ihm gegenüberstellte, das Recht auf dessen Wahrheit. Er brachte jedem Verständnis entgegen und erbat dafür Verständnis für seine Meinung.

Auch diese für mich so wichtige Einsicht gab ich meinem Gefährten weiter. Danach  widmete  ich mich wieder der Schusterarbeit. Doch etwas war anders als bisher: Ich bemerkte, dass ich nicht mehr gedankenlos die Arbeitsweise meines Vaters imitierte, sondern bewusst Stich für Stich setzte, so wie ich es für richtig hielt.

Nutzen wir das, was uns jeden Tag wiederfährt um auf unserem ganz eigenen Weg voran zu schreiten.

Mit Liebe Almut Resoma